Aemaet
Wissenschaftliche Zeitschrift für Philosophie und Theologie
http://aemaet.de, ISSN 2195-173X
Rezension zu: ‘Apostel der
Skeptiker. C. S. Lewis als
christlicher Denker der Moderne’
von Norbert Feinendegen
Dresden: Text & Dialog 2015 Preis: 29,95,
Euro Seiten: 399 S. ISBN: 978-3-943897-22-7
Joachim Feldes∗∗
2018
Mit seinem neuen Buch über Clive Staple Lewis (1898 - 1963)
legt Norbert Feinendegen (geb. 1968), der nach seinem Studium
der Physik, Philosophie und römisch-katholischer Theologie un-
ter anderem als Dozent in der Erwachsenenbildung der römisch-
katholischen Erzdiözese Köln wirkt, eine aktualisierte Fassung
Der Text wird hier unter der Creative-Commons-Namensnennung-
Lizenz (CC BY 4.0 ) veröffentlicht. Erscheinungsdatum 17.07.2018.
∗∗Joachim Feldes ist Dozent für Religionsphilosophie, Dogmatik und an-
glikanische Theologie am St.-Benedikt-Seminar der Anglikanischen Kirche
in Deutschland in Schwarzenborn. Epost: joachim.feldesXYZorg (ersetze
‘XYZ’ durch ‘@anglikanisch.’) Anschrift: Revd. Dr. Joachim Feldes -
Limburgstr. 22 - 67125 Schauernheim
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christlicher Denker der Moderne’
seiner Dissertation über Lewis‘ „Denk-Weg zu Christus“ von
2008 vor. „Apostel der Skeptiker“ belegt die intensive Ausein-
andersetzung des Autors mit Lewis, nicht zuletzt als Mitheraus-
geber unveröffentlichter Schriften, etwa der ebenfalls 2015 publi-
zierten Texte aus dem „Great War“ zwischen Lewis und Owen
Barfield (1898 - 1997), einer für beide Freunde prägenden Aus-
einandersetzung in den Jahren 1927 bis 1930. Zugleich bündelt
Feinendegen mit seinem Buch eine Reihe von vorausgegangenen
Arbeiten, angefangen von Beiträgen zu den Diskussionen zwi-
schen Lewis Stephen Thorson (2008) sowie den Chroniken von
Narnia als Orten der Begegnung mit Christus (2011) bis hin zu
Lewis’ Reflexionen über die Trauer (2015). Auf dem Fundament
dieser Vorarbeiten sowie unter Einbezug neuerer englisch- und
deutschsprachiger Forschungen beschreibt der Autor in der vor-
liegenden Arbeit Lewis’ Weg, auf dem er im Glauben an die
Menschwerdung Gottes in Jesus Christus einen Schlüssel zu ei-
nem Verständnis von Welt und Geschichte, letztlich eine Ant-
wort auf seine Frage nach der Wahrheit findet.
Zunächst schildert Feinendegen, wie Lewis während der 20er
Jahre in der Auseinandersetzung mit Barfield und Cecil Har-
wood (1898 - 1975) und deren positiver Haltung zu Rudolf
Steiners Anthroposophie seine erkenntnistheoretische Position
schärft. Im Rückgriff auf Samuel Alexander (1859 - 1938), den
Lewis 1924 liest, beschreibt er Erfahrung als das, was sich dem
Bewusstsein als Resultat des Erlebens (enjoyment) und der Re-
flexion (contemplation) präsentiert. Solche Erfahrung wird mög-
lich, weil die Fähigkeit des Menschen zur Imagination die Gren-
zen der menschlichen Vernunft überschreitet. Zugleich - und
hier zeigt sich der Einfluss von Samuel Taylor Coleridges (1772
- 1834) - ermöglicht die Imagination das Erkennen des Ähnli-
chen im Unähnlichen, die Einheit in der Verschiedenheit. Mit
Barfield kommt Lewis darin überein, dass die Imagination das
Erkenntnisorgan sei, dass in der Lage sei, der Welt eine Bedeu-
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tung, einen Sinn abzugewinnen.
Von daher sei eine positivistische Einstellung, wie sie damals
im Anschluss an den Wiener Kreis Sprachphilosophen wie Gil-
bert Ryle (1900 - 1976) oder Charles Kay Ogden (1889 - 1957)
vertraten, grundsätzlich zu hinterfragen. Sprache ist für Lewis
nichts schlechthin Gegebenes oder naturwissenschaftlich analy-
sierbares, sie ist veränderlich und deshalb nicht ein-deutig, sie
berge immer Bedeutung (meaning) und verweise zugleich auf
eine Wahrheit (truth), die sorgfältig voneinander zu unterschei-
den seien. Entsprechend rät Lewis in einer Vorlesung von 1932
Philosophie und Theologie zum kritischen Umgang mit dem so-
genannten naturwissenschaftlichen Weltbild und dessen philo-
sophischen und weltanschaulichen Voraussetzungen. Nicht mit
dem Anspruch des Benutzen-Wollens (use), sondern der Bereit-
schaft zum Empfangen (receive) und damit zu einem „fortwäh-
renden Ikonoklasmus“ solle der Mensch der Wirklichkeit gegen-
übertreten. Nur so könne er - und hier reflektiert Lewis seine
eigene Konversion zum Christentum - die Erfahrung der Freude
(joy) machen, die in ihm die Sehnsucht nach dem Anderen, nach
der Einheit mit Gott entfache.
Das „argument from Desire“ sei eben kein teleologisches Ar-
gument (wie viele meinen), sondern eine Art existenziell „durch-
lebter“ ontologischer Gottesbeweis. Umgekehrt erschliesse sich
dem Menschen, der sich Begriff und Erfahrung des dreieinen
Gott schenken lasse, letztlich die Lösung der Frage nach Einheit
und Vielfalt der/des Menschen. Die Erkenntnis Gottes sei wie
die Offenbarung Gottes überhaupt im Grunde nur als Transpo-
sition zu verstehen, einem Begriff, der nach Feinendegen bislang
viel zu wenig Beachtung gefunden habe (S. 177), aber den zen-
tralen Gedanken von Lewis’ Theologie darstelle. Immer begegne
der Mensch, formuliert Lewis im Anschluss an Rudolf Otto, Gott
als mysterium tremendum et fascinans, erlebe freudig und über-
rascht das Göttliche, das sich je neu, aber zugleich auch immer
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und überall, in die erfahrbare Wirklichkeit hinein transponiere
und der Schöpfung damit sakramentalen Charakter verleihe. So
überzeugend und nachvollziehbar Feinendegen diesen Gedanken
beschreibt, unterbleibt eine nähere Analyse, aus welchen theolo-
gischen Quellen Lewis hier schöpft, der sich in der Auseinander-
setzung mit John Ronald Tolkien (1892 - 1973) ja bewusst gegen
den römisch-katholischen und für den anglikanischen Glauben
entscheidet.
Feinendegen weist darauf hin, dass sich Lewis - ähnlich wie
sein Freund Tolkien - keinem Phänomen so intensiv gewidmet
habe wie dem des Mythischen und des Mythos. Mythen ver-
steht Lewis als Geschichten, die im Innersten berühren und ein
Gefühl der Ehrfurcht hervorbringen. Sie zeichneten sich durch
Elemente aus, welche die Möglichkeiten und Wahrscheinlich-
keiten der normalen Erfahrungswelt des Menschen übersteigen,
und eröffneten einen Blick in die Welt des Ewigen. Der My-
thos biete einen Ausweg aus der kontingenten Erfahrung, weil
er die Erfahrung allgemeingültige Prinzipien ermögliche. Darin
entspreche der Mythos dem Geschehen von Tod und Auferste-
hung Jesu, wobei es hier nicht um eine bloße Geschichte, sondern
ein historisches Ereignis gehe, das durch glaubwürdige Zeugen
überliefert worden sei und immer noch werde. An dieser Stel-
le zeigt sich Lewis als begeisternder anglikanischer Christ , der
Autorität von Personen weder unkritisch verwirft noch einfach
als gegeben hinnimmt, sondern sie ihnen nur zubilligt, wenn er
sich von deren Glaubwürdigkeit vorher hinreichend überzeugt
hat. Angesichts der Tatsache, dass Feinendegen dem Themen-
feld Autorität einen Großteil seiner Darstellung widmet, hätte
man in diesem Kontext vielleicht auch auf Lewis’ Beziehung zur
Wahrscheinlichkeitslehre von Joseph Butler (1692 - 1752) und
John Henry Newmans (1801 - 1890) Zustimmungslehre einge-
hen können.
Auf faszinierende Weise schildert Feinendegen die Auseinan-
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dersetzung des Literaturwissenschaftlers Lewis mit der historisch-
kritischen Methode, seinen Umgang mit der Kritik etwa von
Rudolf Bultmann an der Geschichtlichkeit von Wundern und
schließlich seine Kritik an der petitio principii, die davon aus-
geht, dass immer unsere, je heutige Zeit Recht hätte. Immer
wieder schlägt der Autor Brücken ins Heute, wenn er Überle-
gungen moderner Theologen einbezieht, in diesem Kontext des
Mainzer Neutestamentlers Marius Reiser. Intensiv widmet sich
Feinendegens der Bedeutung, die Lewis den Wundern Jesu zu-
misst, insbesondere der Inkarnation als zentralem Wunder, als
transpositorischem Ereignis und Theophanie. Als solche offen-
barten Wunder die innerste Einheit der in Gott begründeten und
von ihm verursachten Schöpfung. Damit erklärten sie, worum es
in der Geschichte eigentlich geht und am besten erschließe sich
ihr Gehalt (sowie der Gehalt der biblischen Bilder überhaupt),
wenn der Mensch ihnen entsprechend zu handeln versuche.
Erst wenn sich die rituelle Verehrung eines numinosen Göttli-
chen mit dem Ethischen verbinde, könne man - so Lewis - von
wahrer Religion sprechen. Dies zeige sich im Judentum, aber vor
allem - hier folgt er Gilbert Keith Chesterton (1874 - 1936) -
im Christentum, wo die biblischen Aussagen nach wie vor die
Zuhörenden vor die grundlegende Entscheidung stellten, wie sie
denn zu Jesus stünden. Die Inkarnation als Mythos in der Ge-
schichte stelle dabei ein historisches und zugleich ein Freiheitsge-
schehen dar, das die Antwort des ganzen Menschen fordere und
je neu die Frage nach der Rolle des Sühnetodes Jesu für das
jeweilige Heute aufwerfe. In diesem Sinn vereinige die Inkarna-
tion Mythos, Faktum und Wahrheit, doch zwinge der Glaube
an die Menschwerdung nicht zu einer bestimmten Theorie, die
nur so und nicht anders vertreten werden dürfe. Wo immer die-
ser Anspruch erhoben werde, wäre das für Lewis - so schreibt
er wiederholt in den 40er Jahren - ein sicheres Zeichen, dass
mit dieser Deutung etwas nicht stimmt. Denn im Lauf der Zei-
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ten veränderten sich Interpretationen zwangsläufig, weil sie auf
dem Hintergrund des jeweiligen Wissenstandes der Zeit je neu
formuliert werden. Grundsätzlich gilt für Lewis, dass die Fra-
ge nach dem Wie der Erlösung dem Glauben an das Dass und
dem Handeln aufgrund der Basis dieses Glaubens nachgeord-
net sei. Römisch-katholische Theologen, gerade in Deutschland,
mögen diesen Ansatz vielleicht als ungenügend betrachten, zu
unpräzise, oder wie es Feinendegen in seinem Schlusswort for-
muliert, „spielerisch anmutend“ (S. 376). Aber es geht Lewis,
darauf hebt Feinendegen auch ab, eben weniger um theologi-
sche Präzision ins letzte Detail hinein, sondern er spricht zu den
Menschen seiner Zeit und für sie, um ihnen zu helfen, den Weg
zu Christus zu finden. Und er tut dies auf typisch anglikanische
Art, die Inhalte des Glaubens nicht in letzte, in Stein gemeißel-
te und dogmatisierte Definitionen zwingt, sondern sich - auch
mit Rücksicht auf die innerkirchliche Ökumene - Zurückhaltung
(restraint) gegenüber dem letzten Grund auferlegt.
Mit seiner umfassenden Darstellung unterstreicht Feinende-
gen, wie wenig eine exklusive Vereinnahmung Lewis’ durch eine
bestimmte Weltanschauung seinem Denken und seiner Person
gerecht wird. Vielmehr zeigt er Lewis als unabhängigen Denker,
Forscher und Gläubigen, der sich der Moderne gegenüber nicht
abkapselt, sondern ihr gelassen und kritisch gegenüber tritt, um
sie auf ihre Vernünftigkeit, Wahrhaftigkeit und Menschlichkeit
hin zu befragen. Nachdem bislang die Werke von Lewis überwie-
gend - sowohl im englisch- wie im deutschsprachigen Raum - in
thematisch begründeten Sammlungen vorlagen, liegt mit „Apo-
stel der Skeptiker“ nun eine umfassende Gesamtdarstellung vor,
die sowohl eine erste Begegnung als auch eine intensivere Ausein-
andersetzung mit Lewis ermöglicht. Das umfangreiche Verzeich-
nis von Primär- und Sekundärliteratur zeigt dem Leser vielfache
Möglichkeiten auf, sich - ganz im Sinne von Lewis - vom eigenen
Interesse leiten zu lassen und einzelnen Aspekten in der Tiefe
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weiter nachzuspüren.
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